Heute habe ich mir mal Zeit genommen, um auf die Fragen einzugehen, die ihr gestellt habt. Die ersten sieben Fragen, von über zwanzig, werden nun beantwortet. Lasst mir mit den Restlichen ein bisschen Zeit, denn da ist viel zu tun.
Viktor:
Fliegen die Fische wirklich, oder springen die nur ganz weit aus dem Wasser?
Wir sind uns da auch nicht sicher, und unsere Meinungen gehen da auseinander. Sie springen mit viel Schwung aus dem Wasser, spreizen ihre seitlichen Flossen, die ähnlich filigran wie die Flügel der Libelle sind, und segeln bis weit über 100 Meter. Dabei ändern sie im Flug manchmal sogar mehrfach die Richtung um bis zu 90°. Was schon ein bisschen wie echtes Fliegen aussieht. Allerdings fliegen sie nach unseren Beobachtungen (und wir haben täglich Hunderte gesehen) dabei nicht höher als circa einen Meter, was eher für das Segeln spricht. Knapp über der Oberfläche ist der Auftrieb höher, der sogenannte Bodeneffekt unterstützt also das Segeln ungemein. Letztendlich sind sie auch fast ausschließlich in Richtung gegen den Wind gesprungen, weshalb ich persönlich überzeugt bin, dass es sich um reines segelfliegen handelt. Robert sieht es genau so, für Raimund ist es jedoch eindeutig Fliegen. Natürlich segeln nur die großen Fische (bis 30cm) so weit, die Kleineren (ab 3cm) schaffen diese Distanzen nicht. Ein schönes Schauspiel ist diese Segelflugkunst auf jeden Fall. Jeden Morgen mussten wir einige kleine, und manchmal auch die etwas größeren, vom Deck aufräumen, wenn sie des Nachts auf das Boot gehüpft sind.
Seid ihr schon so weit, dass ihr nur noch Bücher in fremden Sprachen lest und schon international philosophiert?
Also abgesehen von unseren Spanisch-Lehrbüchern, lasen wir bis jetzt nur Bücher in deutsch (95%) und englisch (5%). In diesen Sprachen wird auch mit den anderen Menschen philosophiert, und das nicht selten. Wobei es, nach dem Genuss geistiger Getränke, schon mehrfach zu vollkommener Verwirrung gekommen ist. Eben erst hatten wir 8 polnische Nachbarn, mit denen wir uns auf deutsch, englisch und russisch unterhalten konnten. Das Polnisch blieb ihnen vorbehalten. Unterhaltungen auf Spanisch sind uns leider immer noch nicht möglich, da sind wir noch ganz, ganz weit entfernt. Die Spanisch-Lehrbücher verstecken sich aber auch so geschickt im Boot. Und Französisch ist nur auf Schul-Niveau möglich.
Was verbindet jeder Einzelne von Euch Dreien mit dem Begriff Cello?
Namensgebung ist für viele Menschen eine schwere Sache, so auch für uns. Der Name muss uns gefallen, sollte schön kurz sein, denn wir müssen ihn ja häufig buchstabieren (Funk & Hafenbüro). Und doch sollte es kein Frauenname sein, wie bei vielen anderen, und vor allem den Frauen gefallen! Er sollte einfach besonders sein. Schiffe mit dem Namen „Black Pearl“ gibt es viele, gerade in diesem Hafen liegen mal wieder zwei „Pearl“. Bei der Planung der Reise äußerte jeder den Wunsch, das Spielen eines Musikinstrumentes zu erlernen. Raimund wollte richtig Gitarre spielen lernen, Siggi die Concertina und Mundharmonika, und Robert, schon länger damit liebäugelnd, das Cello. Da ein Cello für unser kleines Boot leider einfach viel zu groß ist, haben wir beschlossen, es einfach Cello zu taufen. Der Name erfüllt alle oben angegebenen Anforderungen und Robert hat so immer sein Cello dabei, dass er inzwischen wie im Schlaf beherrscht. Das kann ich leider von meiner Mundharmonika nicht sagen. Das Cello spielt uns auch jede Nacht eine himmlische Melodie, zu der wir gemütlich einschlafen können.
Gina:
Glaubt ihr euch verändert zu haben?
Drei Mal ein „Nein“, wenn es um unsere Charaktere geht. Natürlich sind wir mit unseren Aufgaben gewachsen, haben viel dazu gelernt, sind sensibler für die Wetterbeobachtung geworden, unsere Geduldsgrenzen sind um einige Punkte gestiegen, aber wir sind immer noch die Gleichen. Zumindest glauben wir, dass es so ist. Euch wird es wohl eher auffallen. Deshalb liegt es nun an euch, eine Veränderung an uns festzustellen, falls dem so ist.
Seht ihr die Welt und das Leben anders? Wenn ja, was hat sich verändert an der Sichtweise?
Ja, das tun wir einhellig. Fast täglich sehen wir „Leben“, wie man es bei uns nicht kennt, und bemerken, dass es auch anders geht. Aussteiger, die ihr Leben lang durch die Welt reisen. Einheimische, die ihr Leben lang (oder kurz) nicht aus ihren Slums herauskommen. Oder die High-Society, mit Yachten, die so teuer sind wie Neuschwanstein. Alle lachen, leiden, leben. „Glücklich“ sein, ist eine Einstellung und hat nichts mit Geld zu tun. Das hat uns die Reise immer wieder gezeigt. Und außerdem sind jetzt ein paar graue Flecken auf der Landkarte (oder Seekarte) bunt geworden. Kapverden z.B. ist nicht mehr nur ein Name, es ist eine Erfahrung und Erinnerung geworden. Und auch die Erfahrung, auf so engem Raum zusammen zu leben, hat uns sicherlich positiv beeinflusst, auch wenn es ab und an etwas Reibereien gab.
Die Menschen die euch wichtig sind, sind sie gefühlt unendlich weit weg, oder fühlt ihr euch sogar verbundener mit ihnen als vorher?
Siggi: Wieso weit weg? Die wichtigsten Menschen sind in meinem Herzen, und das sind höchstens 40cm. Es ist schon so, dass man mal „den“ oder „die“ vermisst. Bei mir z.B. häufig meine Patenkinder, bei denen ich einen Teil der Kindheit verpasse. Da wir fast nichts mitbekommen, was zu Hause passiert, ist es etwa so, als wäre das zu Hause im Pause-Modus. Als stände die Zeit dort still und wir könnten nach der Rückkehr einfach dort weiter machen, wo wir aufgehört haben. Deshalb ändert sich auch nichts an der Verbundenheit. Für uns ist sie völlig gleich geblieben. Robert: Das sehe ich etwas anders als Siggi. Ich vermisse meine Freunde und meine Familie definitiv. Wie bei Siggi, finde ich es auch schade, dass ich einige Monate in der Entwicklung meines Neffen (und auch die von Batu) verpasse. Und auch die Treffen mit den Freunden und die WLO vermisse ich. Da hilft auch kein Skype und keine EMail. Dennoch genieße ich natürlich die Reise und die ganzen neuen Erfahrungen, die wir hier machen. Aber ich freue mich auch, endlich die ganzen Leute wieder zu sehen, wenn wir nach einigen weiteren Monaten wieder zurück in Deutschland sind.
Träumt man anders auf dem Wasser, als auf dem Land?
Wenn wir im Hafen liegen, ist schlafen und träumen inzwischen wie zu Hause auch. Auf dem Meer nicht, kein bisschen, überhaupt gar nicht. Außer für Raimund, der schläft bei jeder Lage ein, sobald er sich hinlegt. Und das hat er ungefähr 18 Stunden am Tag gemacht. Man wird in seiner Koje hin und her geworfen. Die Wellen schlagen unregelmäßig gegen die 20cm vom Ohr entfernte, nur einige Millimeter dicke, Bordwand. Und das mit einer Lautstärke, die man nicht für möglich hält. Dazu ächzt und krächzt und singt und schreit und schlägt und quietscht und stampft das Boot ohne Unterlass. Wir sind einfach irgendwann vor Erschöpfung in ein Koma gefallen und nach kurzer Zeit wieder schlagartig erwacht, manchmal auf einem tauben Arm. Da war keine Zeit zu träumen. Oft genug schreckt man aus dem Schlaf auf und weiß nicht, wo man ist. Oder denkt, dass man Wache hatte und eingeschlafen ist. Oder Angst hat, dass das Schiff gerade ohne Steuermann unterwegs ist. Vor allem am Anfang sind wir öfters aufgestanden und haben die Lage überprüft, um wieder etwas entspannter wieder einzuschlafen. Lange hat es gedauert, sich einigermaßen daran zu gewöhnen. Dann kamen auch die Träume wieder, meist verwirrt und kurz. Da wir in Schichten steuern mussten, waren mehr als 5 Stunden Schlaf am Stück nicht möglich. Und das zu den unterschiedlichsten Tages- oder Nachtzeiten. Sorgen und Ängste, ihr erinnert euch sicherlich an die Wantenbrüche, haben ihr übriges dazu beigetragen, Schlaf und Träume zu beeinflussen. Eine Atlantiküberquerung in einem Boot, mit so wenigen technischen Hilfsmitteln (und im Vergleich zu den früheren Jahrhunderten immer noch viel zu viele), ist richtig harte Arbeit. Beim Kampf gegen die Elemente, die Gleichgültig und Schonungslos gegen uns sind, haben Träume und Romantik wenig zu melden. Gebe es da nicht die Sonnenuntergänge und die Delphine.
Kommentare
Der kleine Hase ist über die Tiefe der Antworten sehr berührt. Die Darstellungen der Wahrnehmungen, Empfindungen und Gefühle sind von einer Stärke, die ihn sehr beeindrucken. Er kannte dieses besondere Talent des Hauptschreibers nicht. Weiterhin dachte sich der Hase, dass sein Rücken heute nicht geschont werden solle und drehte sich von der Seite auf den Rücken. Wegen seinem kuscheligem Fell am Rücken überkam ihn dann plötzlich ein weicher warmer Schlaf…